Grenzgänger im Morgenwind

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Das Joolaee Trio passt in keine Schublade. Genau das macht es so faszinierend

Foto: Michael Reinicke

An ihr erstes gemeinsames Konzert können sich die drei Protagonisten noch genau erinnern. Da wussten sie allerdings noch nicht, dass sie das Joolaee Trio waren. Der Veranstalter hatte sie kurzfristig so tituliert. Er kannte das Duo, das den Kamancheh-Virtuosen Misagh Joolaee mit dem Jazz-Percussionisten Sebastian Flaig verband. Gleichzeitig musizierte Joolaee seit einiger Zeit mit seiner Partnerin Schaghajegh Nosrati, einer klassisch ausgebildeten Konzertpianistin. Die beiden Duos mit Joolaee als Bindeglied hatten bereits locker seit 2021 musikalischen Kontakt. Beim Rudolstadt-Festival 2022 standen sie dann erstmals gemeinsam auf der Bühne. „Weil ich mit Schaghajegh wie auch mit Sebastian so gut harmoniere, dachte ich mir, dass dieses Trio eigentlich etwas Spannendes sein könnte“, erinnert sich der aus dem Iran stammende Musiker. Die Fusion funktionierte gleich im doppelten Sinn: „Zum einen aufgrund des unterschiedlichen kulturellen und musikalischen Backgrounds, zum anderen wegen der ungewöhnlichen Besetzung: Die aus meinem Kulturkreis stammende Stachelgeige trifft auf den klassischen Klang des Klaviers und die Vielfältigkeit der Percussion.“

Alle drei Musiker verfügten bereits über viel Konzert- und Aufnahmeerfahrung. Als Pianistin hat Schaghajegh Nosrati, deren Eltern 1983 aus dem Iran nach Deutschland flohen, bisher sechs Alben veröffentlicht. Ihre Einspielung von Bachs „Wohlemperiertem Clavier, Band 1“ wurde im Quartal 4/2022 mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Joolaee und Flaig, die sich 2018 beim Studium in Hannover kennenlernten, können auf zwei gemeinsame Alben zurückblicken („Qanat“ und „Ferne“), „alles live gespielt, also fast keine Overdubs“, wie Flaig betont. Daneben hat Joolaee ein Soloalbum namens „Unknown
Nearness“ eingespielt. Auch diese CDs wurden mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik bedacht.

Nach dem erfolgreichen Auftritt als Joolaee Trio war es eigentlich klar, dass bald eine CD folgen sollte. „Morgenwind“, das Trio-Debüt, ist nun im Oktober bei gwk Records in Münster erschienen. Das Label präsentiert nach eigener Aussage „junge Musikerinnen und Musiker, die mit renommierten internationalen Preisen ausgezeichnet wurden, die durch originäre Gestaltungskraft und technische Meisterschaft überzeugen, deren künstlerische Persönlichkeit fasziniert.“ Alles das trifft in besonderer Weise auf das Joolaee Trio zu.

Mittlerweile ist das Ensemble ein gern gesehener Gast in renommierten Konzerthäusern, Jazz-Clubs und bei Festivals. So trat es beim Schleswig-Holstein-Musikfestival auf, bei den Raderbergkonzerten Köln, dem Heidelberger Frühling und beim Jazz Meets World Festival Prag.

Aber in welche Schublade packt man es denn nun? „Orient trifft Okzident“ mag zutreffen, ist aber zu eindimensional. Auch in der begeisterten CD-Kritik des Radiosenders Bremen Zwei wird dieses Bild bemüht, gleichzeitig muss der Rezensent überrascht feststellen: „Das Joolaee Trio ist bestimmt eine der ungewöhnlichsten Kammermusik-Formationen überhaupt.“ Ihre Stücke schreiben sie selbst; die meisten stammen von Misagh Joolaee, der die Möglichkeiten der Kamancheh, die mal brüchig-rauchig, mal geheimnisvoll introvertiert klingt, über die traditionellen Spielweisen hinaus enorm erweitert hat. Urzelle und Basis ihres Repertoires ist jedoch immer das klassische persische „Radif“, eine Sammlung aus über 350 Motiven oder kleinen Melodien, die in verschiedene Modi eingeteilt sind. „Man nimmt einen Modus, den man dann in mehrere kleine Bestandteile namens Guscheh einteilt“, beschreibt Joolaee die Vorgehensweise. „Man muss diese 350 Guschehs alle auswendig lernen. Und dann kommt das Spannende: die eigene Variation, Kombination und Ornamentik zu finden. Jeder Spieler interpretiert den Radif ein bisschen anders. So gibt es in der Tradition ganz unterschiedliche Werke von alten Meistern, die den Radif gespielt haben, mit verschiedenen Instrumenten oder als Sänger. Die Werke wurden über Jahrhunderte mündlich übermittelt, mittlerweile liegt der Radif jedoch auch als Notenmaterial vor, sodass klassisch ausgebildete Musiker verstehen, was da vorgeht. Und sie machen etwas Neues daraus.“

Dieses Neue schwingt im Titel ihres Debutalbums mit. In der persischen Lyrik steht der Morgenwind für den Frühling, aber auch für das Erwachen der Liebe und das Unerwartete. „Das Leben weht aus dem Osten, das ist gleichzeitig ein wirklich sinnvolles Bild für unsere Arbeit“, sagt Joolaee. „Der Wind und die Musik wehen in Richtung Westen, das hat etwas Verheißungsvolles und Befruchtendes. Das war für uns wichtig, den Dialog zwischen Ost und West zu fördern und zu intensivieren. Gerade heute, in weniger friedlichen Zeiten, bietet die Musik so vielfältige Möglichkeiten, uns gegenseitig kennenzulernen und Ressentiments abzubauen.“ Als politisches Sprachrohr möchte er sein Trio jedoch nicht sehen. Zwar wird im CD-Booklet der berühmten Satz von Goethe zitiert: „Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“ Aber blauäugig, gar blind gegenüber den Realitäten zu sein, das könne kein Musiker, der viel unterwegs ist und aufmerksam die Nachrichten verfolgt, so Joolaee. Man müsse sich dabei aber immer vergegenwärtigen, dass es auch eine andere, persönlichere und unmittelbar erlebbare Realität neben der aggressiven Politik gebe. „Die Menschen und die Politik sind oft sehr unterschiedlich, wenn man genau hinsieht. Man merkt schnell, dass konfrontative Positionen künstlich aufgebaut worden sind. In der Kultur gibt es so viele schöne Gemeinsamkeiten, auf die man sich einlassen kann.“

So enthält das Debüt „Morgenwind“ neben den Eigenkompositionen auch Arrangements türkischer und persischer Volkslieder – und eine klassische Fuge! „Es dauerte einige Zeit, diese ganz verschiedenen Dinge in sinnvoller und stimmiger Weise zusammenzubringen“, erklärt Nosrati, die neben ihrer Konzerttätigkeit seit 2020 als Assistentin von András Schiff an der Barenboim-Said Akademie in Berlin wirkt. „Jeder von uns ist in seiner eigenen Richtung sehr, sehr ernst dabei. Sebastian zum Beispiel spielt bei der Lauttencompagney Berlin auch Alte Musik und ist Mitglied des Ensemble Resonanz, das viele Uraufführungen realisiert. Wir sehen uns als Grenzgänger, die über die Linien hinwegblicken. Denn da ist etwas, was wir vielleicht noch nicht kennen. Was uns als Musiker verbindet, ist die Neugier. Irgendwann kam der richtige Zeitpunkt, wo uns drei klar war: Wir machen etwas ganz Neues.“

Es wird dringend gebraucht. Denn das Neue sieht immer anders aus als das, was uns Fundamentalisten im Rückwärtsgang als das Gute und einzig Wahre verkaufen wollen. Das Neue mag bisweilen irritieren, Fragen aufwerfen, aber es hüpft immer freudig aus der Schublade, um Menschen zu überraschen. Es braucht nur ein wenig Neugier. Oder aktuell: ganz viel davon.

Helge Birkelbach

Erschienen im Klassik-Winter 2024