Das nennt man schlechtes Timing! Es ist wahrlich nicht die beste Zeit, die Musik eines hierzulande unbekannten russischen Komponisten vorzustellen. Doch Wassili Kalinnikow ist schon 1901 gestorben und kann nun wirklich nichts für den Ukrainekrieg. Die Niederrheinischen Sinfonieker aus Krefeld und Mönchengladbach haben die CD bereits 2021 aufgenommen. Und überhaupt, ob man Kunst in Sippenhaft nehmen sollte, darüber könnte man lange diskutieren. Die Musik des jung verstorbenen, zudem in seinen letzten Jahren schwer tuberkulosekranken Kalinnokow hat es jedenfalls verdient, dass man sie wieder- oder hierzulande überhaupt erst entdeckt. In den fünf Werken dieser CD findet sich alles, was man russischer Sinfonik schätzt: Eingängige Melodien, die der russischen Volksmusik entlehnt scheinen, prägnante Rhythmik und ein virtuoser Umgang mit der instrumentalen Farbpalette. Auch die Dramaturgie stimmt, und so wundert man sich nicht, dass sich Tschaikowsky kurz vor seinem Tod sehr für seinen jungen Kollegen einsetzte. Die fünf Stücke geben einen guten Einblick in das schmal gebliebene Werk Kalinnikows, gewichtig sind vor allem die 40-minütige Sinfonie Nr. 1 (Anspieltipp: das Andante commodamente!) und die sinfonische Dichtung Zeder und Palme nach Heinrich Heine. Diese Sinfonik ist süffig im besten Sinne und nicht nur für Raritätensammler eine Entdeckung! Zumal wenn sie so hochkarätig gespielt wird wie von den Niederrheinischen Sinfonikern unter ihrem (estnischen) Chefdirigenten Mihkel Kütson. Arnt Cobbers
Vasily Kalinnikov: Le Cèdre et le Palmier, Sinfonie Nr. 1, Streicherserenade, Intermezzo Nr. 1 u. 2
Niederrheinische Sinfoniker, Mihkel Kütson (Leitung)
Musikproduktion Dabringhaus und Grimm
MDG 952 2240-6 (Hybrid-SACD)