Schwebende Klangschönheit

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Die rein vokale Musik des russisch-orthodoxen Gottesdienstes beeindruckt auch ein nicht-kirchliches Publikum. Sie zielt auf Vergrößerung des gesprochenen Wortes, ihr Rhythmus folgt streng der Sprachmelodie des Kirchenslawischen: eine Silbe, ein Ton, ein Akkord. Diese Strenge faszinierte auch den frommen Sergej Rachmaninow; berühmt ist seine Vertonung der Ostervigil von 1915. Doch bereits 1910 komponierte er die Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomos. Rachmaninows Komposition fordert die Grenzen des Schlichtheitsgebots durchaus heraus; seine eigentümliche Harmonik bricht immer wieder durch, abschnittweise gibt er dem Text kraftvollen Nachdruck. Die Geistlichkeit war keineswegs so begeistert von dem Werk wie das Konzertpublikum. Trotzdem war die Liturgie wohl tatsächlich für die Kirche gedacht.

Chordirigent Kaspars Putniņš hat für BIS bereits die Ganznächtliche Vigil mit dem Niederländischen Kammerchor aufgenommen; für die Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomos nun arbeitete er mit dem Estnischen Philharmonischen Kammerchor zusammen, dessen Chefdirigent er bis 2021 war. Die eindrucksvolle Präzision des Profichors in Rhythmus, Intonation und Aussprache, seine Ausgewogenheit – mit sachter Betonung des intensiven Altregisters – und sein großes dynamisches Potenzial bringen Rachmaninows Chorsätze bestens zur Geltung. Hinzu kommt ein atmendes Schwingen, das in der weiträumigen, weichen Akustik der Nikolaikirche zu Tallin den Chorklang gleichsam abheben lässt. Dankenswerterweise ist der Text im Original, in Transkription – zum hörenden Mitlesen – und auf Englisch abgedruckt. Doch auch ohne mitzulesen kann man sich beim Hören verlieren in der schwebenden Schönheit des Chorklangs. Friedrich Sprondel

Sergej Rachmaninow: Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomos

Estnischer Philharmonischer Kammerchor, Kaspars Putniņš (Dirigent)

BIS

BIS-2571 (SACD)