Aleksandra und Alexander Grychtolik spielen Mozarts „vierhändige“ C-Dur-Sonate überraschenderweise auf zwei Cembali

Aleksandra und Alexander Grychtolik bilden das führende Cembalo-Duo derzeit, mit ihrem Ensemble Deutsche Hofmusik widmen sie sich außerdem der Musikkultur deutscher Residenzen des 17. und 18. Jahrhunderts. Aleksandra Grychtolik stammt aus Polen, ihr Mann ist gebürtiger Berliner und nicht nur Cembalist und Dirigent, sondern auch promovierter Musikwissenschaftler und promovierter Architekt. Das Ehepaar wohnt mit seinem Sohn in Weimar.
Frau Grychtolik, Herr Grychtolik, was ist die Idee hinter dem Programm Ihrer neuen CD „Generations“?
Aleksandra Grychtolik: Wir werden nach unseren Konzertauftritten oft nach dem Unterschied zwischen Cembalo, Hammerflügel und modernem Klavier gefragt und wie der Übergang vom Cembalo zum Klavier erfolgte. Das Eröffnungsstück unserer neuen CD, Mozarts vierhändige C-Dur-Sonate KV 521, wird vor allem auf dem modernen Klavier interpretiert. In Mozarts Autograph steht aber überraschenderweise „Cembalo primo“ und „Cembalo secondo“: Mozart hat das Werk also ursprünglich für das Cembalo komponiert. Es ist das Ergebnis einer längeren musikgeschichtlichen Entwicklung, die von der Musik der Bach-Söhne ausging. So kam auch unser CD-Titel zustande: Es geht um das Verhältnis der Generationen im Spannungsfeld zwischen Abgrenzung und Inspiration.
Hat man Mozarts Sonate für zwei Cembali schon damals auch vierhändig auf dem Hammerflügel gespielt?
Alexander Grychtolik: Den Übergang vom Cembalo zum Hammerflügel könnte man – auf unsere heutige Zeit übertragen – vielleicht mit der Einführung des E-Autos vergleichen. Einige kaufen sich schon diese neuen Fahrzeuge, die meisten fahren jedoch noch einen klassischen Verbrenner. Richtig durchgesetzt hat sich die neue Technologie vor allem wegen der geringen Reichweite und der Ladeproblematik noch nicht. Auch die frühen Hammerflügel waren klanglich und technisch noch recht unvollkommen, das waren im Grunde genommen modifizierte Cembali, in die man eine recht einfache Hammerflügelmechanik eingebaut hat. Der endgültige Siegeszug des Hammerflügels begann erst mit genialen Klavierbauern wie Anton Walter, dessen Instrumente Mozart bevorzugte. In den meisten Häusern standen damals jedoch noch Cembali: Diese Phase der Zweigleisigkeit ist sehr spannend. Ein Anliegen war es uns auch, die vier ganz unterschiedlichen Komponistenpersönlichkeiten in ihrer Musik zu porträtieren. Wilhelm Friedemann Bach war ein genialer Improvisator, deshalb haben wir in seinem F-Dur-Konzert seinen freien und spontanen Geist gesucht. Carl Philipp Emanuels Werke haben etwas Brillantes, Klares und Aufrichtiges. Mozart versprüht eine unglaubliche Freude, er ist quasi ein kindgebliebener Mensch, und Johann Christian nimmt ihn in vielerlei Hinsicht schon vorweg, der junge Mozart hat sich sehr an ihm orientiert.
Die Werke zeigen auch den Übergang vom „galanten Stil“ zur Wiener Klassik. Woran erkennt man das?
Alexander Grychtolik: Der galante Stil ist sehr experimentell. Er benutzt barocke Elemente, spielt mit ihnen jedoch und setzt sehr stark auf Kontraste. Diese Ästhetik des Natürlichen und Verspielten ist auch in der damaligen Kunst des Rokoko zu finden. Der klassische Stil ist hingegen im Grunde sehr streng und symmetrisch, er hat etwas geradezu „Motorisches“, was man zum Beispiel bei Mozart oft hören kann.
Aleksandra Grychtolik: Der galante Stil erlaubt den Interpreten viele Freiheiten und gibt ihnen die Möglichkeit, spontane Ideen einzubringen. Der klassische Stil verlangt mehr Disziplin, auch in rhythmischer Hinsicht. Wenngleich man sich auch dort Freiheiten im Tempo erlauben darf (das tun wir auch bei Mozart), sollte man bei entsprechender Melodik nicht streng nach dem Metronom spielen. In der Klassik setzt sich das symphonische Denken durch: In der Sonate von Johann Christian Bach hört man förmlich, wann etwa Streicher und Bläser einsetzen. Der Klavierpart ist wie ein Particell, ein Klavierauszug, man könnte diese Sonate auch pro-blemlos zu einem Orchesterwerk umarbeiten.
Noch mal zur Instrumentenfrage: Man kann also die Werke aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf verschiedenen Tasteninstrumenten spielen?
Alexander Grychtolik: Sofern die Komponisten nichts explizit vorgeschrieben haben: ja. In Frankreich hat man während der Revolution 1789 viele Cembali verbrannt, weil sie als Symbol des Adels galten. In Deutschland gab es keinen klaren Bruch. Werke für „Clavier“ konnte man auf verschiedenen Instrumenten spielen, wobei wir auch das Clavichord nicht vergessen dürfen, das von großer Bedeutung war, schon Johann Sebastian Bach und die Generationen vorher schätzten die dynamischen Möglichkeiten. Mozart war bekanntlich mit einem Reiseclavichord durch Europa unterwegs. Man ist damals viel selbstverständlicher zwischen den verschiedenen Tasteninstrumenten hin und her gewechselt.
Mozart gilt als der Erfinder des vierhändigen Spiels. Warum hat man sich vorher nie zu zweit an ein Cembalo gesetzt?
Aleksandra Grychtolik: Es gibt bereits aus dem 16. Jahrhundert vierhändige Literatur, aber das waren eher Kuriosa. Populär geworden ist das vierhändige Spiel durch Mozart und seine Schwester Nannerl, die von ihrem Vater als Wunderkinder vermarktet wurden. Vermutlich hatte es auch praktische Gründe, dass sie vierhändig auftraten. Durch ihren enormen Erfolg ist diese Spielweise in breiteren Hörerkreisen populär geworden.
Das Interview führte Arnt Cobbers