Es gibt für das frühe 18. Jahrhundert kein Ende der Wiederentdeckungen; dabei zeigt sich Christian Ludwig Boxberg, der wie Johann Sebastian Bach als gebürtiger Thüringer schließlich in Sachsen landete, in seinen geistlichen Werken fast als dessen Gegenmodell: knapp gefasst und meist strophisch angelegt, ohne besonderen polyphonen Ehrgeiz, aber mit einer eindringlichen Schlichtheit und lyrischen Innigkeit, deren direkt ansprechende Emotionalität manchmal fast volksliedhafte Züge gewinnt. Man fühlt sich auf diesem Album geradewegs in die Welt einer kleinen, familiären, aber qualitätvoll ausgebildeten und ganz ihren Glaubenserzählungen hingegebenen Kleinstadtkantorei versetzt. Wie schön beispielsweise das fröhlich tänzerische, in den Wiederholungsteilen leichtfüßig und unangestrengt variierte „Der Bräut’gam kömmt“ – fünf Minuten reiner Vorfreude, die wie in vielen anderen der zehn Stücke zwei prägende Ensemblemitglieder zusammenführen: die Sopranistin Anna Herbst als meist geforderte, dabei leicht geführte und umarmend herzliche Oberstimme des Solistenquartetts und die ausdrucksvolle Oboistin und Ensembleleiterin Karla Schröter. Die kammermusikalischen, technisch gut eingefangenen Mixturen zwischen Vokalstimmen und bläserbetonten Instrumentalsätzen (bei denen trotz des intimen Charakters manchmal auch Horn- und Trompetenstimmen mitklingen dürfen) schaffen eine beglückende Atmosphäre herzlicher Vertrautheit – untereinander und in Richtung Hörer. Gerald Felber
Christian Ludwig Boxberg: Aus der Tiefen
Kantaten und geistliche Konzerte
Concert Royal Köln
Cantate C58058