Dieses Album ist Ronald Brautigams erste Schubert-Einspielung – nach vollständigen Zyklen der Wiener Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven und einem Mendelssohn-Zyklus. Und wie bei jenen Zyklen hat er auch diesmal ein Instrument nach historischen Vorbildern gewählt: ein Fortepiano in Wiener Bauart, das sein bevorzugter Klavierbauer Paul McNulty 2007 nach dem Vorbild eines Flügels von Conrad Graf von etwa 1808 gebaut hat. Grafs Instrumente waren keineswegs mehr jene zart-frechen Wiener Flügel der Mozartzeit, und sie sind auch kräftiger konstruiert als die Broadwood-Klaviere, die heute gern mit Beethovens Werk assoziiert werden. Der tragend-singende, farbig changierende Klang, den das Instrument unter Brautigams Händen entfaltet, prägt dessen Interpretation der beiden berühmten Impromptu-Gruppen von 1827.
Es ist faszinierend zu hören, wie Schuberts Stücke, komplex zwischen Charakterstück und Sonatenformat pendelnd, in Brautigams Herangehen eher größeres Format gewinnen, als wenn sie an einem modernen Flügel erklingen. Wo ein solcher einen weiten Spielraum des Lyrischen, der leisen und mittleren Dynamik bietet, ehe er brillante oder gar aggressive Akzente fühlbar macht, da ist in Brautigams Spiel am Graf-Nachbau der schneidende Akzent, das klirrende Tutti immer in Reichweite. Beim c-Moll-Impromptu ist vom ersten Oktavklang an deutlich, dass es um Großes geht – selbst wenn Brautigam die verhaltene Marschmelodie dann exquisit ausspinnt. Im Einzelton setzt das Instrument einen farbig-weichen Impuls mit verhältnismäßig rasch abfallendem Dauerton; bei den Akkordbrechungen des Ges-Dur-Impromptus kommt damit kein weicher Klangrausch auf, stattdessen stützt Brautigam mit den zart strukturierten Arpeggien die Melodiestimme im Diskant. Besonders bunt geraten Verzierungen und Girlanden in der hohen Lage. Jedesmal spannend zu hören ist, wie sorgfältig Brautigam am Fortepiano, bei meist fließenden Tempi, Schuberts Phrasen formt und mit dem Pedal den Klang modelliert. Spürbar wird, wie geschickt Schuberts Klaviersatz das expressive Potenzial des zeitgenössischen Klavierklangs bis an die Grenze ausschöpft – eine Grenze, an die Brautigam ihm bedingungslos folgt. Die ausgezeichnete Aufnahme erfasst dabei die schillernden Farbnuancen und die Dynamik des Instruments eindrucksvoll. Friedrich Sprondel
Franz Schubert: Impromptus D 899 & D 935
Ronald Brautigam (Fortepiano)
BIS
BIS-2614 (SACD)