Jörg Widmann ist ein Tausendsassa: erfolgreicher Klarinettist, Hochschullehrer, Dirigent und höchst produktiver Komponist. Die Pianistin Yubo Zhou hat ein Porträtalbum mit vier von seinen Klavierzyklen eingespielt. Das sind Werke, die 2007 und 2012 geschrieben wurden. Darunter die quecksilbrigen Zirkustänze, die exemplarisch für das kompositorische Schaffen Widmanns stehen können: zahlreiche launige Anklänge und Anspielungen, von Boogie-Woogie über verschiedene Walzer und venezianisches Gondellied bis zum collageartigen bayerisch-babylonischen Marsch. Ganz im Sinne postmoderner Ironie wird dabei immer auch ein Schüppchen Sand ins Getriebe gegeben. Aber es kommt eben auch das tiefe Gefühl durch, wie in der Valse sentimentale und in der Hebräischen Melodie. Überhaupt bekennt sich Widmann zum Erbe der Romantik, wenn er diese auch höchst individuell, oft eigenwillig, auslegt. Sei es bei der Schubert-Hommage Idyll und Abgrund, bei Brahms-Überschreibungen in Intermezzi oder bei Schumann-Reflexionen in Elf Humoresken. Yubo Zhou folgt den Stücken so klug wie einfühlsam in all ihren Verästelungen und Kapriolen, ihren Referenzen, Stilzitaten und Genreanleihen, bei den rasanten Wechseln der Fallhöhe, dem doppelten Boden und Dekonstruktionen. Diese Vielseitigkeit, dieses überzeugende Spiel mit vielerlei musikalischen Masken, ist möglich aufgrund von Yubo Zhous stupender technischer Meisterschaft und ihrer großen Ausdruckspalette. Ecki Ramón Weber

Jörg Widmannn: Zirkustänze, Idyll und Abgrund, Intermezzi, Elf Humoresken
Yubo Zhou (Klavier)
Musikproduktion Dabringhaus und Grimm
MDG 904 2320-6 (SACD)