Von Wien nach Hollywood

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Das Hegel Quartet hat Raritäten von Korngold und Kreisler aufgenommen

Selbst passionierte Kammermusikfreunde haben die Streichquartette von Fritz Kreisler und Erich Wolfgang Korngold vermutlich noch nie gehört. Das kann sich jetzt ändern, dank der neuen CD des Stuttgarter Hegel Quartets. Ein Gespräch mit der Cellistin Elena Cheah.

Foto: Duncan Smith

Frau Cheah, Sie sind Professorin in Freiburg, ihre Kollegen Solisten im SWR Symphonieorchester bzw. im Gürzenich-Orchester Köln. Warum spielen Sie trotzdem noch Streichquartett?
Das ist unsere Herzensliebe. Es ist ein ganz großes Glück, dass wir vier uns gefunden haben. Ich lese gerade ein Buch über die Anatomie des Gehirns, und die Neurologin vergleicht die vier Teile des Gehirns mit einem Streichquartett. Im besten Fall fühlt es sich tatsächlich so an, als seien wir vier Teile eines Gehirns, die gleich empfinden und sich ausdrücken können. (lacht) Es gibt für diese Besetzung einfach so tolle Werke, die uns alle Möglichkeiten eröffnen. Wir proben gerade das zweite Streichquartett von Korngold, das ist so ein satter harmonischer Klang wie sonst nur in Strauss-Opern – und das in dieser kleinen Besetzung, das ist sehr erfüllend. Man hat im großen Orchester Wucht und Kraft und ein großes Klangspektrum, aber nicht die Intimität und die Präzision, die man zu viert haben kann.

Früher gab es nur hauptberufliche Streichquartette.
Ich denke, es ist ein Merkmal unserer Zeit, dass wir vielfältiger werden müssen, in jedem Bereich des Lebens. Deshalb sind wir von der Idee abgekommen, dass man sich aufs Quartett fixieren muss. Aber wenn wir vier uns nach einem Monat wieder treffen, fühlt es sich an wie letzte Woche.

Haben Sie sich bei der Gründung überlegt, welches Klangideal Sie anstreben wollen?
Unsere Klangvorstellungen sind zum Glück sehr ähnlich. Wir kommen alle aus der „Neuen Welt“, aus Australien, USA, Kanada, und sind dann nach Deutschland gekommen. Die Einflüsse waren sehr ähnlich, und dann haben wir uns im Laufe der Jahre immer mehr aneinander angepasst. Wir arbeiten immer weiter an unserem Klang, wir verfeinern und diskutieren und probieren vieles aus. Aber müssen uns nicht streiten, sondern finden meist sehr schnell einen Konsens.
Es gibt so viele Meisterwerke im Repertoire. Gehören das dritte Streichquartett von Korngold und das von Kreisler dazu?
Auf jeden Fall. Wenn man Werke oft spielt, merkt man, ob sie interessanter werden oder ihren Glanz etwas verlieren. Gerade das Korngold-Quartett wird mit jeder Aufführung interessanter. Es ist während des Zweiten Weltkriegs entstanden, und obwohl er drei Sätze aus Filmmusik weiterentwickelt hat, glaube ich, dass er das von vornherein als Konzertmusik gedacht hat. Korngold hatte einen Vertrag mit Warner, dass er seine Filmmusik auch zu anderen Zwecken verwenden durfte. Ich denke, er hat nie nur Filmmusik komponiert. Gerade in diesem Quartett steckt so viel drin an musikalischer Tiefe, das hat eine unglaubliche Bandbreite an harmonischen Möglichkeiten und emotionalem Ausdruck.

Und warum kombinieren Sie das mit Kreisler?
Beide sind von Wien nach Amerika ausgewandert. Kreisler ist zwar nicht in Hollywood gelandet, aber auch er hat Filmmusik komponiert, und sein Quartett ist wirklich ein Juwel. Es ist „Unterhaltungsmusik“, aber zugleich von einer emo-tionalen Tiefe, die man von Kreisler nicht erwartet, wenn man nur seine Salonstücke kennt. Er hat es geschrieben, nachdem er als Soldat aus dem Ersten Weltkrieg gekommen war. Er war vier Wochen an der Front, ehe er verletzt wurde, und dieses Erlebnis hat ihn geprägt. Beide haben große Krisen durchgemacht. Bei Korngold bestand die Krise darin, dass er seine Heimat verlassen musste und seinen Status als gefeierter Opernkomponist und Dirigent verlor.

Eine letzte Frage muss man stellen: Wie passen Hegel und das Streichquartett zusammen?
Hegel war ein Stuttgarter Philosoph, und wir sind in Stuttgart basiert, wo drei von uns oft im Hegel-Saal gespielt haben. Das ist also eher eine Verbindung mit dem Ort als mit dem Philosophen.

Das Gespräch führte Arnt Cobbers.

Erschienen im Klassik-Sommer 2022

From Vienna to Hollywood
Kreisler: Streichquartett a-Moll
Korngold: Streichquartett Nr. 3 D-Dur op. 34,
Drei Stücke aus Much Ado About Nothing op. 11

Hegel Quartet
frisch erschienen beim Label Ars