Geht nicht gibt’s nicht

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Ildikó Szabó hat sämtliche Cellowerke von Beethoven aufgenommen

Ildikó Szabó ist eine der besten und interessantesten jungen Cellistinnen. Schon mit elf Jahren begann sie ein Studium auf der Liszt-Akademie ihrer Heimatstadt Budapest, mit 14 präsentierte sie ihre erste CD – mit absoluten Virtuosenwerken –, mit 18 kam sie zum weiteren Studium nach Berlin, wo sie bis heute lebt. Nach dem Cellokonzert von Emanuel Moór und Solowerken von ungarischen Komponisten hat sie nun, gemeinsam mit dem Pianisten István Lajkó, sämtliche Werke für Violoncello und Klavier von Ludwig van Beethoven aufgenommen: die fünf Sonaten und drei Variationszyklen.

Frau Szabó, warum haben Sie schon kurz vor ihrem 30. Geburtstag die Beethoven-Sonaten aufgenommen?

Ja, das war mein schönstes Geburtstagsgeschenk. Ich wusste immer, dass ich die Sonaten eines Tages aufnehmen würde, und ich wusste immer, dass ich sie früher als Bach aufnehmen würde. Alfred Brendel hat uns gesagt, ihr müsst das jetzt machen.

Wie haben Sie ihn kennengelernt?

Das war vor einigen Jahren beim Festival in Krzyzowa/Kreisau, da war er als Coach dabei. Beim Frühstück sagte die Festivalleiterin Viviane Hagner eines Tages zu mir, wenn du fertig bist, spielen wir das Brahms-Trio, das wir geprobt haben, Alfred Brendel vor. Und nach dem Festival hat er mich eingeladen, ein Hommage-à-Brendel-Festival hier am Konzerthaus in Berlin zu eröffnen. Das war für mich eine große Überraschung. Ich habe mit István Lajkó Tschaikowsky, Britten und eine Beethoven-Sonate gespielt, und nach dem Konzert hat er uns angeboten, ihn in London zu besuchen und mit ihm die Beethoven-Sonaten durchzuarbeiten. Wir waren mehrmals bei ihm, wir durften bei ihm wohnen und haben intensiv gearbeitet, auch an Schubert und Brahms. Zwei Stunden morgens, dann Mittagessen, dann zwei Stunden nachmittags, um fünf Uhr Tee, dann wieder zwei Stunden, und nach dem Abendessen haben wir noch Aufnahmen gehört und besprochen, vor allem Streichquartette und Sänger. Wir haben ihm vorgespielt, und er hat kommentiert. Nicht technisch wie ein Lehrer. Er ist eher ein Mentor, er gibt ein unglaublich nützliches Feedback, er gibt Ermutigung, Motivation, Inspiration. Wir stehen bis heute in Kontakt, und wir werden ihn auch bald wieder besuchen.

Foto: Marco Borggreve

Sind das nun Brendelsche Interpretation geworden?

Das glaube ich nicht. Er hat manchmal nur Schlüsselwörter gegeben, mit denen ich manches Problem geknackt habe. Im normalen Cello-Unterricht und in Wettbewerben spielt man vor allem die A-Dur-Sonate op. 69 und die Spätwerke, die gelten cellistisch gesehen als „wichtig“ und herausfordernd. Die beiden frühen Sonaten spielt man leider oft „einfach so“. Dabei sind das auch großartige Werke, in denen man musikalische Herausforderungen zu lösen hat. Wie man die Auftakte spielt zum Beispiel oder die Sforzati. Und wie man generell den Bogen schafft von den Frühwerken, die Beethoven hochmotiviert und virtuos dem preußischen König vorgespielt hat, bis zur D-Dur-Doppelfuge. Ich finde diese Reise durch alle drei Schaffensphasen von Beethoven unglaublich inspirierend. Und für mich war es wichtig, diese Aufnahmen jetzt zu machen, auch mit István zusammen.

Ist das jetzt die „gültige“ Sichtweise?

Es ist wie ein Foto – kein schnelles Selfie hoffentlich, sondern eines, das mich und István und unsere Sicht auf die Stücke nach zehn Jahren Studium und vielen Konzerten festhält. Die Aufnahmen zeigen unsere Idee, die wir jetzt von den Stücken haben. Aber diese Sicht wird sich natürlich weiterentwickeln.

Kommen wir auf Ihre Biografie zu sprechen. Sie stammen aus einer Musikerfamilie.

Mein Vater ist Solocellist im Budapest Festival Orchestra, mein Großvater war Komponist und Musikwissenschaftler, und er hat Volkslieder gesammelt unter Ceaușescu in Siebenbürgen. Meine Mutter ist Pianistin. Aber das Klavier mochte ich nicht so richtig, das Cello dagegen fand ich auf den ersten Blick interessant.

Und Sie waren so talentiert, dass Sie eine „Wunderkindkarriere“ erlebt haben.

So wollte ich nie genannt werden. Ich hatte vielleicht eine höhere Begabung als normal, ich habe schon sehr früh Konzerte gegeben und Aufnahmen gemacht. Mein Vater hat 1993 die Dohnányi-Sonate aufgenommen, als Weltersteinspielung, und da war ich im Bauch meiner Mutter schon im Studio dabei.

Und mit 14 Jahren kam dann schon die erste CD – mit Virtuosenwerken.

Ich glaube, ich war so ein übermotiviertes Kind. Eigentlich bin ich immer noch fasziniert vom Cello und den Spieltechniken. Ich muss alles können oder versuche zumindest, für alles eine Lösung zu finden. Das ist wie ein Puzzle. Virtuosenstücke haben mir einfach Spaß gemacht. Nicht gegen die Stoppuhr zu spielen, sondern diese Freiheit, dass ich alles ausdrücken kann auf meinem Instrument. Deshalb habe ich auch Spaß am Üben. Virtuosenstücke haben ihre Berechtigung. Es gibt Kunstfilme, und es gibt Unterhaltungsfilme, und die können ja auch gut gemacht sein. Paganini hat viele Komponisten inspiriert durch die Freiheit und die Fantasie am Instrument, die er hatte. Dieser Aspekt ist für mich immer noch wichtig. Ich hasse es, einem Komponisten zu sagen: Herr Kurtág, das geht nicht. Ich möchte alle Herausforderungen lösen können, das gehört einfach zum Handwerk.

Und dann sind Sie schon mit 18 Jahren nach Berlin gekommen – ins Cellisten-Mekka.

Ja, (lacht) das kann man vielleicht so sagen. Deutschland überhaupt. Ich denke, die Professoren machen etwas richtig hier. Es gibt eine unglaubliche Anziehungskraft, warum genau, kann ich gar nicht sagen. Berlin zieht überhaupt Musiker an, ich bin ja auch hier nach dem Studium geblieben, hier ist immer etwas los, die Musiker-Community ist sehr attraktiv, jeder will nach Berlin ziehen.

Bis Juni haben Sie noch ein Aufbaustudium an der Kronberg Academy absolviert.

Es ist auch irgendwie befreiend, dass das jetzt abgeschlossen ist. Mein Lehrer, Wolfgang Emanuel Schmidt, hatte das empfohlen, András Schiff auch, und meine ehemalige Kammermusik-Lehrerin in Budapest, Rita Wagner, der wir auch die CD gewidmet haben. Kronberg hat mir den letzten Schliff gegeben und die Möglichkeit, mit anderen Instrumentalisten zu spielen und Projekte zu realisieren, was gerade zu Corona-Zeiten sehr wichtig war. Ähnlich denkende Menschen zu treffen, hat mir viel Kraft gegeben.

Haben Sie noch enge Kontakte nach Budapest und zur ungarischen Musikwelt?

Zu György Kurtág und Péter Eötvös zum Beispiel ja, aber zu Ungarn, das ist eine andere Sache. Inzwischen habe ich hier in Deutschland mein Zuhause gefunden, ich bin auch unglaublich dankbar für all die Möglichkeiten, die man mir gegeben hat. Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich gute Leistungen zeige, werde ich unterstützt, das ist sehr schön. Ich habe zum Beispiel seit 2013 ein Cello der Deutschen Stiftung Musikleben, das ich vermutlich im Februar abgeben muss.

Haben Sie denn schon ein neues Instrument? Ohne gutes Instrument wird’s schwierig, oder?

Ja und nein. Ich durfte drei bis vier Monate auf einem Stradivari-Cello spielen. Am Anfang hab ich mir gesagt: Ildikó, du darfst dich nicht verlieben, das ist nur eine Affäre. Ich habe mich natürlich doch verliebt. Das waren vielleicht die drei bis vier schönsten Monate meines Lebens. Aber letztendlich war es immer noch ich, die das Cello gespielt hat. Und egal, welches Instrument ich spiele – ich klinge immer wie ich. Das ist eine wichtige Erfahrung. Mein Vorbild ist da mein Vater. Wir hatten immer Instrumente zuhause, die nicht die allerwertvollsten sind. Aber er hat immer gut geklungen. Er hat einfach eine gute Grundtechnik der Klangerzeugung. Wenn mir morgen jemand ein Stradivari anbietet, würde ich nicht nein sagen. Aber man darf sich nicht zur Sklavin eines Instruments machen. Man muss auch auf einem schlechteren Instrument gut spielen können. Diese Vorstellung, dass man 10 Millionen Euro auf dem Rücken trägt, ist doch auch verrückt. Aber es ist natürlich superinspirierend, wenn man den Cellokasten öffnet, und dann liegt da solch ein Stück Geschichte drin. Das Antonio-Sgarbi-Cello habe ich seit 2013, das ist wie eine Ehe, von der man schon im Voraus weiß, wann die Scheidung sein wird. Das ist komisch. Aber es ist auch richtig so. Nun darf es die nächste junge Cellistin spielen und darauf ihre Ideen umsetzen.

Gibt es schon ein neues CD-Projekt? Oder bleibt Beethoven erst einmal im Zentrum?

Beethoven wird noch für eine Weile im Zentrum bleiben. Wir werden die Sonaten zum Beispiel 2024 in der Wigmore-Hall in London aufführen. Jetzt bin ich aber erst einmal sehr gespannt auf das neue Stück von Kurtág, das er gerade für mich schreibt und dass ich hoffentlich beim Festival in Kronberg Ende September uraufführen kann. Da spiele ich dann auch andere Stücke von ihm zum ersten Mal in Deutschland, alles Solostücke. Ich spiele gern Stücke, bei denen die Tinte noch nicht trocken ist.

Das Gespräch führte Arnt Cobbers.

Erschienen im Klassik-Herbst 2023

Ludwig van Beethoven

Sämtliche Werke für Violoncello und Klavier

Ildikó Szabó (Violoncello), István Lajkó (Klavier)

erschienen beim Label Hungaroton