Die Pianistin Zlata Chochieva über die Kunst, ein sinnreiches CD-Programm zusammenzustellen
CD-Programme zu entwickeln ist eine Kunst für sich. Abseits von Gesamtaufnahmen und Best-of-Einspielungen findet man leider allzu oft merkwürdige Kombinationen von Bravourstücken, die den Interpreten glänzen lassen, dem Hörer aber kaum neue musikalische Erkenntnisse gewähren. Auch die Stückauswahl für Zlata Chochievas neue CD wirkt auf den ersten Blick reichlich wild. Beim zweiten Blick aber entdeckt man einen spannenden roten Faden.
Frau Chochieva, welche Idee steckt hinter dem Programm?
Als während der Pandemie mein Leben auf den Kopf gestellt wurde, als ich nicht mehr reisen, mich nicht mehr mit Menschen treffen konnte, habe ich gemerkt, dass mir die Natur am meisten Kraft gibt. Sie ist die größte Quelle der Inspiration und gibt mir Antworten auf viele meiner Fragen. Ich habe damals begonnen, einen meiner Lieblings-Zyklen, Ravels Miroirs, zu lernen. Ravel hat in diesem Zusammenhang auf ein Shakespeare-Zitat hingewiesen: „Das Auge sieht sich nicht als nur im Widerschein durch andere Dinge.“ Das heißt: Wir brauchen einen Spiegel, und dieser Spiegel ist die Natur. Das ist ein wunderschöner Gedanke. Die Miroirs und Schumanns Waldszenen bilden das Herz des Programms. Sie stammen aus verschiedenen Epochen, die Wahrnehmung der Natur war eine andere. Aber beide sind doch im Kern miteinander verwandt, auch wenn in ihnen unterschiedliche Blickwinkel angelegt sind. Schumann geht es um die Einheit zwischen der Natur und dem Menschen – der Wald spielte eine ganz wichtige Rolle in der deutschen Romantik. Dagegen „beschreibt Ravel das Objekt selbst“, wie Alfred Cortot gesagt hat, der menschliche Faktor tritt bei ihm eher zurück.
Warum beginnen Sie mit den Waldszenen?
Das erste Stück, Eintritt, stellt den perfekten Einstieg ins Programm dar. Ich finde es interessant, dass die Natur in diesem Zyklus nicht nur positiv dargestellt ist: einerseits zwar diese göttliche Freude, der Traum vom Glück – das ist übrigens der Titel des ersten Stücks von Draesekes Petite histoire –, auf der anderen Seite jedoch die Unsicherheit – der Titel des dritten Stücks von Draeseke. Auch darum habe ich diesen wunderschönen, völlig unbekannten Zyklus ins Programm genommen. Da geht es eigentlich um eine unglückliche Liebesgeschichte, aber für mich trifft das Werk dennoch gut mit meiner Programmidee zusammen. Die Natur kann uns Freude und den Traum vom Glück geben, aber uns ebenso Angst machen – wenn wir zum Beispiel in einem Wintersturm durch den Wald gehen. Hinzu kommt die mystische Seite wie in Liszts Feux follets, den Irrlichtern. Zu Liszts Zeiten hatten diese Naturerscheinungen noch etwas Märchenhaftes, Unwirkliches, es gab noch keine wissenschaftlichen Erklärungen. Die Natur hat auch eine mystische, phantastische Seite, die auch für Schumann eine große Rolle spielt.
Und wie ist die Schöne blaue Donau auf die CD geraten?
Ich möchte in einem Programm eine Geschichte erzählen, unterschiedliche Emotionen bieten, verschiedene Blickwinkel eröffnen. Und diese Transkription von Adolf Schulz-Evler ist einfach ein wunderschönes Stück zum Genießen, in dem es ja auch um das Naturerlebnis geht. Es ist schön, als Pianistin Strauß spielen zu können, und es klingt so anders und reizvoll, finde ich, ohne den großen Orchesterklang.
Sie beenden das Programm mit Bartóks Im Freien.
Das ist so ein tolles Werk! Er selbst hat es beschrieben als „verwischte Cluster-Akkorde und Imitationen von Vogelgezwitscher und dem Quaken nachtaktiver Kreaturen“. Ich liebe Bartók, und ich finde, mit diesen „Klängen der Nacht“ rundet sich das Programm perfekt: Wir wachen auf, machen uns mit Schumanns Eintritt auf in den Wald, erleben wunderbare und spannende Abenteuer in der Natur und beenden unsere Reise, wenn die Natur schlafen geht. Dann ist es Zeit für uns, Gute Nacht zu sagen. Dabei schläft die Natur ja eigentlich nie. Das zeigt die Nachtmusik.
Und zwischendurch begegnen wir zahlreichen Vögeln, bei Schumann dem Vogel als Prophet, bei Ravel den Oiseaux tristes.
Ich bin sicher, Schumanns Waldszenen waren ein Vorbild für Ravel, auch wenn der mit den Miroirs etwas ganz anderes erschaffen hat. Und das erste Stück der Miroirs, Noctuelles, ist den Feux follets von Liszt verwandt, es sind beides mystische Nachtvisionen. Diese Beziehungen zwischen den Komponisten sind hochinteressant.
Das Gespräch führte Arnt Cobbers.
Erschienen im Klassik-Sommer 2023
Im Freien
Werke von Schumann, Ravel, Draeseke, Strauß, Liszt und Bartók
Zlata Chochieva (Klavier)
naive (2 CDs)