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Das Armida Quartett spielt Mozart in einer neuen Fassung ein

Seit sieben Jahren beschäftigt sich das Armida Quartett intensiv mit Mozart. Die Berliner, deren Karriere fulminant mit dem Gewinn des ARD-Wettbewerbs 2012 begann, nehmen sämtliche 23 Streichquartette auf – zum ersten Mal nach der Neuausgabe des Urtexts. Ein Gespräch mit der Geigerin Johanna Staemmler.

Foto: Felix Broede

Frau Staemmler, klingt Ihr Mozart anders als auf früheren Aufnahmen?
Es haben sich viele Details geändert, aber hin und wieder gibt’s auch große Unterschiede, zum Beispiel in einer komplett anderen Dynamik. Wenn man ältere und unsere Aufnahmen eins zu eins nebeneinanderlegen würde, würde man an vielen Stellen Unterschiede hören. Aber wir interpretieren die Stücke natürlich auch, und wir haben einen besonderen Klang, den wir für Mozart gesucht haben und an dem wir immer weiter arbeiten. Diese drei Punkte kann man nicht streng voneinander trennen.

Ihre Aufgabe besteht ja auch darin zu prüfen, ob die Lesart des Musikwissenschaftlers Wolf-Dieter Seifert in der Praxis funktioniert.
Das ist wirklich einzigartig, dass wir als Streichquartett so eng mit Musikwissenschaftlern zusammenarbeiten. Wir sind in alle strittigen Fragen eingebunden. Wenn ein Bogen in der Handschrift zwischen zwei Noten endet, muss man für den Druck einfach eine Entscheidung treffen, wie weit man den Bogen zieht. In solchen Fragen werden wir als musikalische Berater hinzugezogen. Manche Dinge lassen sich musikalisch klären, manche aber auch instrumental. Wenn etwas auf der Geige besonders gut funktioniert, ist das ein Hinweis, dass es von Mozart so gemeint sein könnte, weil er sich gut auskannte auf dem Instrument. Meist geht es um dynamische oder artikulatorische Fragen: Striche, Bögen, Legati, wo fängt das Piano, das Forte an. Nicht immer werden wir uns einig, auch nicht innerhalb des Quartetts. Aber in den meisten Fragen schon.
Ist das historisch informiert, was Sie machen?
Ja, nach unserem besten Wissen und Gewissen. Wir haben ja auch historische Aufführungspraxis bei Reinhard Goebel studiert. Aber wir spielen nicht auf Darmsaiten oder mit Bögen aus der Zeit. Wir spielen Werke aus der ganzen Musikgeschichte mit unseren Instrumenten, die sind sozusagen unsere Stimme, wir finden unseren Mozart-Klang auf diesen modernen Instrumenten. Die Idee ist auch nicht, museal abzubilden, wie es damals geklungen haben mag. Sondern auf dem Stand des heutigen Wissens die Musik so lebendig zu bringen wie möglich – als Menschen von heute, die sich anderen Menschen von heute mitteilen wollen.

Warum kombinieren Sie auf der gerade erschienenen Folge 4 drei Frühwerke mit dem Dissonanzenquartett?
Die Frühwerke werden im Vergleich zu den zehn „großen“ Quartetten oft stiefmütterlich behandelt, deshalb haben wir von der ersten CD an späte und frühe Quartette einander gegenübergestellt. Es ist schön zu sehen, wie die Keime zu dem, was später aufblüht, schon in den frühen Werken zu finden sind. Besonders berührt haben uns die langsamen Sätze, in denen Mozart schon früh sehr tiefgründige, traurige, melancholische Musik schrieb. Mit 16, 17 empfindet man ja sehr stark und intensiv. Mozart hat nicht nur dieses Leichtfüßige, dieses Papageno-Gefühl.

Mozart hat gegen Ende seines Lebens sechs Streichquintette geschrieben. Als Laie denkt man, mit fünf Stimmen kann man doch mehr ausdrücken als mit vier.
Gerade diese Reduktion auf vier Stimmen macht das Streichquartett so anspruchsvoll und so komplett – als hätte ein Maler nur vier Farben, mit denen er die ganze Welt abbilden soll. Diese vier Instrumentalfarben sind nötig und genug, um ein rundes Ganzes zu schaffen, und alles was dazukommt, baut auf dieser Konstruktion aus Oberstimme, Bassstimme und zwei Mittelstimmen auf – bis hin zur Sinfonie. Nur eine Mittelstimme wiederum ist eine zu wenig. Vier Stimmen bilden eine vollkommene Einheit – und dennoch ist jede Stimme noch individuell zu verfolgen. Das wird mit einer Stimme mehr schon schwierig.

Ist das auch das Verlockende daran, Streichquartett zu spielen?
Absolut. Das ist die Königsdisziplin, weil man solistisch und verschmelzend spielen und wie auf einem Drahtseil zwischen beidem balancieren können muss.

Das Gespräch führte Arnt Cobbers.

Erschienen im Klassik-Sommer 2022

Wolfgang Amadeus Mozart
Streichquartette Vol. 4: KV 157, 159, 160, 465

Armida Quartett
erschienen beim Label Avi