„Saufen. Ich will saufen!“

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Der Tenor Magnus Dietrich über Texte in der klassischen Musik

Sie sind ein Renner im Internet: die inzwischen fünf Videos, auf denen junge Sängerinnen und Sänger mit Klavierbegleitung höchst anspruchsvolle Kunstlieder singen – auf Texte wie Zehn nackte Friseusen vom Ballermann-Star Mickie Krause oder Hulapalu von Andreas Gabalier. Komponiert hat sie der Münchner Komponist und Pianist Simon Mack. Im ersten Video, das Silvester 2021 online ging, präsentieren der Tenor Magnus Dietrich und die Pianistin Anna Gebhardt im Stil einer Bach-Arie Saufen von Ingo ohne Flamingo. Anlass für ein Gespräch an der Staatsoper Berlin, wo der gebürtige Münchner Mitglied des Opernstudios ist.

Herr Dietrich, wie schafft man es, bei solch einem Text ernst zu bleiben?

Es ist im Endeffekt nicht anders als bei einem „normalen“ Lied: Man probt es und ist dann irgendwann so drin, dass es kein Problem mehr ist, das vor der Kamera seriös rüberzubringen.

Was ist die Idee hinter dem Ganzen?

Man muss im Kompositionsstudium Stilübungen schreiben, Stücke im Stile von Bach, von Schubert usw. Die Texte wählt man dann bei Goethe, Schiller und Co. Und Simon Mack hat sich gedacht, man sollte doch mal andere Texte verwenden. Es geht einfach darum, eine neue Würze hineinzubringen durch einen Text, den man bei einer Bach-Arie nicht erwartet.

Foto: Jakob Schad

Ist es schön, dass Sie als Sänger neben der Musik mit dem Text noch eine zweite Ebene haben? Oder wäre es Ihnen lieber, sie könnten manchmal nur lalala singen?

Ich finde, ein Text macht vieles einfacher. Man kann eine Botschaft senden, die man, wenn man nur Töne spielt, schwerer transportieren kann. Man kann durch Text und Wort auch die Musik anders transportieren. Und man kann sich zum Beispiel auf der Opernbühne nicht nur durch laute Töne Gehör verschaffen, sondern eben auch durch gutes Sprechen.

Das macht es aber auch anspruchsvoller.

Klar, wir müssen immer zwei Dinge lernen: Wir müssen die richtigen Töne treffen und wir müssen den Text können. Aber ich finde es unterstützend, wenn ich weiß, bei diesem Textbaustein kommt diese Phrase oder hier mache ich szenisch das und das.

Als klassischer Sänger singen Sie – im Gegensatz zu Popsängern – ganz überwiegend „alte“ Musik, deren Texte im besten Falle zeitlos sind, aber nie modern und aktuell. Ist das nicht auch frustrierend?

Natürlich sind die meisten Texte mitnichten zeitlos. Das hindert den Opernbetrieb aber nicht daran, das ganze Jahr über die Zauberflöte zu spielen oder den Rosenkavalier, obwohl da viele Textbausteine drin sind, über die man sich aus heutiger Sicht Gedanken machen muss. Die Frage ist aber, ob wir diese Stücke deswegen nicht mehr aufführen sollen. Vielleicht muss man im Programmheft darlegen, dass man sich über den Text Gedanken gemacht hat, oder es auf der Bühne darstellen. Ich denke, es ist keine Lösung, in den Text oder die Musik so einzugreifen, dass er niemanden mehr stört.

Ins Szenische einzugreifen hat man wenig Skrupel.

Ich hab es schon erlebt, dass in der Zauberflöte aus dem „Mohr“ der „Mann“ gemacht wurde. An manchen Häusern wird darauf geachtet. Aber dass man in den Text eingreift, passiert im Moment noch viel seltener, als dass man mal eine Wiederholung aus musikalischen Gründen streicht oder ins Szenische eingreift.

Die eine Frage ist, ob es noch politisch korrekt ist, was da gesungen wird. Aber eine andere Frage ist es, ob nicht auch eine ganze Geschichte aus der Zeit gefallen ist.

Aber deswegen geht man doch auch in die Oper, oder? Um in diesem Kunstrahmen, in dem wir uns da bewegen, etwas zu sehen, was völlig aus unserem Alltag herausfällt.

Warum erzählt man nicht auf eine vertraute Musik, wie sie viele Operngänger ja hören wollen, eine neue, aktuelle Geschichte mit ganz neuem Text?

Das wäre sehr extrem. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sowas kommen wird. Aber es passiert gesellschaftlich so viel, vielleicht werden wir diesen Weg irgendwann beschreiten. Es ist ja doch das Gesamtwerk an sich, Text und Musik, was wir heute bewundern. Vielleicht mehr die Musik, aber doch auch das Gesamtkonzept – gerade bei einem Komponisten wie Wagner, der seine Texte selbst geschrieben hat.

Popmusiker singen meist eigene Texte, mit denen sie sich selbst ausdrücken. Ich weiß nicht, wieviele klassische Sänger so gläubig sind, dass sie einen Bach-Text wirklich mit voller innerer Überzeugung singen.

Aber die Frage ist ja als Sänger der klassischen Musik: Wo fängt man an? Wenn ich jeden Text beleuchte und anfange zu sezieren: Das ist aber nicht das, was ich denke, das ist nicht das, was ich vertrete und was ich sagen will, dann wird’s schwer. Da könnte ich wahrscheinlich nichts mehr von vor 1950 singen. Wir haben noch nicht genug moderne Musik, dass jeder klassische Sänger sagen könnte: Ich singe nur noch das, was ich wirklich empfinde und darstellen möchte.

Sie müssen etwas glaubhaft darstellen, hinter dem Sie gar nicht voll stehen.

Absolut. Man ist in einer Rolle, man ist nicht man selbst. Das gilt nicht nur für die Opernbühne, sondern auch für einen Liederabend.

Reflektiert man so etwas, bevor man klassischer Sänger wird? Oder gehört das einfach zum Beruf dazu?

Ich denke schon manchmal über die Texte nach. In diesen Zeiten beginnen wir Gott sei Dank über viele Dinge nachzudenken, die man früher nicht hinterfragt hat. Aber am Ende singt man es dann doch und versucht es bestmöglich auf der Bühne darzustellen – auch wenn man Probleme damit hat.

Wird über Texte auch diskutiert?

Ich bin noch nicht in der Position, Diskussionen anzufangen, ich stehe erst seit zwei Jahren auf der Opernbühne. Etwas anderes ist es natürlich, wenn man einen eigenen Liederabend zusammenstellt. Da kann man aussuchen, was man singen und was man vertreten möchte.

Wäre Ihnen im Zweifel die Musik dann doch wichtiger?

Ich persönlich finde, dass die Musik immer den Vorrang hat vor dem Text. Aber es gibt sicherlich viele, die dem widersprechen würden.  

Wie sind Sie überhaupt zum klassischen Gesang gekommen?

Ich habe Musik auf Lehramt studiert, fürs Gymnasium, da hat man auch sehr intensiven Gesangs- und Sprechunterricht. Und da habe ich gemerkt, dass mir das Singen Spaß macht und ganz gut funktioniert. Kurz vor dem Ende meines Studiums habe ich also noch eine Aufnahmeprüfung fürs Gesangsstudium in München gemacht.

Das heißt, Sie spielen auch ein Instrument?

Ich komme sozusagen vom Klavier, damit habe ich mit fünf, sechs Jahren angefangen. Und fürs Schulmusikstudium habe ich auch noch Posaune gelernt, man braucht ja ein zweites Instrument.

Und wie kommt man an ein Opernstudio?

Man muss vorsingen. Man bewirbt sich mit einer Aufnahme und dem Lebenslauf. Und muss dann ganz normal vorsingen.

Ist das die letzte Phase der Ausbildung oder die erste Phase im Berufsleben?

Beides. Wir haben wie an der Hochschule Schauspielunterricht und Gesangsunterricht, es wie ein bezahltes Masterstudium – wir bekommen etwas Geld, damit wir leben können. Aber wir haben gleichzeitig die einmalige Gelegenheit, auf der großen Bühne zu stehen mit ganz tollen Sängerinnen und Sängern und viel zu lernen und in den Betrieb hineinzuwachsen – und natürlich Dirigenten, Agenten usw. kennenzulernen.

Sie übernehmen ja viele kleine Rollen, den Wirt im Rosenkavalier, einen Herold im Don Carlo, einen der Juden in der Salome usw. Da singen Sie einen Satz, sind fünf Minuten auf der Bühne und gehen wieder ab. Sind solche Auftritte eine wichtige Erfahrung?

Absolut. Man kann sich langsam herantasten, wie es sich anfühlt auf der Bühne, mit der Lichttechnik, mit dem Orchester, dem Dirigenten usw. Man lernt mit dem Gesamtkonzept Oper umzugehen. Und wir haben gut zu tun, weil fast jede Oper eine oder mehrere kleine Rollen hat. Ich habe aber zum Glück auch schon große Rollen gesungen. Da hat man zwar viel zu singen, aber es ist auch einfacher, wenn man viel länger auf der Bühne steht und viel mehr Chancen hat, sich zu beweisen. Wenn man nur zwei Sätze zu singen hat, und da war was falsch, dann interessiert das zwar eigentlich niemanden, weil es die meisten gar nicht merken. Aber für einen selbst ist es wahnsinnig unangenehm, wenn das passiert. Auf der anderen Seite ist es natürlich viel stressfreier.

Sie sind als Tamino in der Semperoper eingesprungen, den Sie auch schon hier an der Berliner Staatsoper gesungen hatten. Davon träumt man, oder?

Ja. Ich wurde am Abend vorher angerufen, bin dann sofort nach Dresden gefahren, habe den Tag über geprobt und am Abend die Vorstellung gesungen. Dann geht man ins Hotel und fährt am anderen Tag wieder nach Hause. Und im Idealfall wird man wieder eingeladen. Diese Rolle kenne ich aber einfach sehr gut, ich weiß, da kann nichts passieren. Es waren auch alle sehr nett zu mir, es wurde mir sehr leicht gemacht.

Wenn man in Ihren Kalender schaut, findet man viele Auftritte in sehr kleinen Rollen. Beschäftigen Sie sich tagsüber vor allem mit dem Lernen von großen Rollen?

Das kann man so sagen. Die kleinen Rollen muss man nicht lange üben. Aber wenn wir wissen, in einem Jahr kommt eine große Rolle auf mich zu, dann beschäftigen wir uns jetzt schon damit. In den Coachings stehen auch Rollen im Mittelpunkt, die im Moment noch nicht relevant für uns sind, von denen wir aber wissen, die können oder werden hoffentlich noch kommen.

Sie haben auch bei den Berliner Philharmonikern und Kirill Petrenko im Elias gesungen.

Da gibt es einige Ensembles, die wollte Herr Petrenko mit jungen Sängerinnen und Sängern besetzen, aus den Opernstudios in München, Stuttgart und Berlin. Das war sehr entspannt, weil wir nur wenig zu singen hatten, aber mit Herrn Petrenko zu arbeiten, war ein tolles Erlebnis.

Sie singen alles vom Barock bis in die Gegenwart, Oper, Lied, Oratorium. Muss man als junger Sänger alles können?

Es gibt Sängerinnen und Sänger, die sich relativ schnell auf ein Repertoire spezialisieren. Bei mir ist es so, dass ich mich noch nicht festlegen möchte – und auch noch nicht festlegen kann. Ich mache eigentlich alles. Ich kann neben dem Opernstudio nicht mehr so viele Konzerte geben, aber ich versuche schon noch ab und zu einen Liederabend oder Konzerte zu singen zu singen. Es macht mir einfach sehr viel Spaß, auch im Konzertsaal aufzutreten, und es ist auch stimmlich sehr angenehm.

Führen Sie Saufen auch live auf?

Hab ich noch nie gemacht. Es wird aber gemacht, habe ich gehört. Das Stück hat sogar schon Einzug in Prüfungen und Liederabende gehalten.

Wie ist es überhaupt im Kollegenkreis angekommen?

Sehr gut. Mir hat mal jemand gesagt – ich sage nicht wer: Die Leute, die das nicht gut finden, mit denen möchtest du auch nicht zusammenarbeiten. Das ist der entscheidende Satz. Ich denke, dass das Video musikalisch sehr gut und nicht peinlich geworden ist. Deswegen kam es, glaub ich, durchweg gut an.

Das Interview führte Arnt Cobbers.

Erschienen im Klassik-Sommer 2023