Der verschwundene Mozart-Sohn

  • Beitrags-Kategorie:Interviews

Wie ein Werk, das beim Mozartfest Würzburg auf dem Programm stand, sich plötzlich in Luft auflöste

Robert Oberaigner und das Alinde Quartett spielen in der Serenade im Zobelhof im Juni Mozarts Klarinettenquintett, eine Uraufführung von Simone Fontanelli und zwei Arien aus Titus, und vorweg gibt’s ein Streichquartt von Juan Crisóstomo Arriaga. Das allerdings stand ursprünglich nicht auf dem Programm. Robert Oberaigner, Solo-Klarinettist der Sächsischen Staatskapelle Dresden, erzählt, wie es dazu kam.

Das Alinde Quartett und ich, wir kennen uns schon lange und spielen gern das Mozart-Klarinettenquintett zusammen. Vor einigen Jahren hat Simone Fontanelli ein Werk für uns komponiert, aber die Uraufführung ist wegen Corona gescheitert. Die Gelegenheit, das Werk endlich zu präsentieren, ergab sich nun mit dem Mozartfest. „Seelenforscher Mozart“ ist das übergeordnete Motto in diesem Jahr – „Echos aus tiefster Seele“ heißt das Stück von Fontanelli. Darin hat er auch Fragmente aus Mozarts Oper Titus verarbeitet, und so kamen wir auf die Idee, noch zwei Arien aus dem Titus in Simones Bearbeitungen für Klarinette und Streichquartett ins Programm zu nehmen. An den Anfang wollte ich das Dissonzanzenquartett setzen – Dissonanz verstanden als der schiefe Zustand der Seele, der aufgelöst werden muss. Aber das Mozartfest wünschte sich ein unbekanntes Streichquartett. Wir haben über einige Werke gesprochen, aber irgendwie passte das für mich nicht. 


Foto:Andrej KasiK

Nun war ich im Juni 2023 mit den Dresden Chamber Soloists in Lemberg, wo unser Geiger studiert hat. Wir waren das erste westliche Ensemble, das wieder in der Ukraine war. Ich war unsicher gewesen, ob man uns da überhaupt haben wollte, aber die Leute waren unglaublich dankbar – dass wir ihnen gezeigt haben, wir haben sie nicht vergessen. Wir haben zwei Konzerte und einen Meisterkurs in der Akademie gegeben. Und dort steht im Foyer eine große Büste von Franz Xaver Mozart, Wolfgang Amadeus’ Sohn, der in Lemberg, am östlichen Ende des Habsburgerreiches, gelebt und gewirkt hat. Und ich dachte: Das passt doch! Es gibt doch keinen näheren Seelenverwandten als das eigene Kind.

Ich habe im Netz nachgeschaut und fand sehr schnell sechs Streichquartette von Franz Xaver Mozart. Das Mozartfest war begeistert. Also habe ich die Noten bestellt. Viermal kam die Nachricht: Die Lieferung verzögert sich. Dann hieß es plötzlich: Noten momentan nicht lieferbar. Darum habe ich mich direkt an den Schott-Verlag gewandt, in dessen Katalog die Werke aufgelistet sind. Und bekam als Antwort, ihnen sei aufgefallen, dass da was nicht stimmen könne. 

Die sechs Quartette waren ursprünglich als Werke von Wolfgang Amadeus Mozart erschienen. Man hat schnell gemerkt, dass das vom Stil her nicht passt, und hat sie dann dem Sohn zugeschrieben, der als Pianist als „Wolfgang Amadeus Mozart Sohn“ auftrat und auch komponiert hat. Mittlerweile geht man davon aus, dass auch das nicht stimmt – sondern dass Johann Mederitsch, genannt Gallus der Komponist war, ein Zeitgenosse von Mozart Vater, der aus Wien stammte und später nach Lemberg ging, wo er mit Franz Xaver befreundet war. Aber ganz sicher ist das auch nicht. Schott hat nur noch Archivexemplare, wollte uns davon Kopien machen, aber anscheinend zögern sie, Noten herauszugeben, von denen sie nicht wissen, was es eigentlich ist.

Wir konnten also vier Monate vor dem Konzert immer noch nicht abschätzen, von welcher Qualität die Werke überhaupt sind – und haben deshalb die Notbremse gezogen. Nun spielen wir ein Quartett von Juan Crisóstomo Arriaga, dem spanischen Wunderkind, das auf den Tag genau 50 Jahre nach Mozart, im Jahre 1806, geboren wurde und mit nur 20 Jahren starb.

So etwas ist mir auch noch nie passiert. In Lemberg suchen sie nun im Archiv nach den Originalen der Streichquartette, die dort liegen müssten, wenn sie von Franz Xaver Mozart sind. Aber durch die Kriegssituation ist das schwierig zu bewerkstelligen. Mal sehen, vielleicht können wir ja im nächsten Jahr tatsächlich ein unbekanntes Werk vom Sohn Mozart präsentieren.

Aufgezeichnet von Arnt Cobbers

Erschienen im Klassik-Frühling 2024