Der Zauber der zwei Manuale

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David Stromberg hat ein ungewöhnliches Klavier wiederentdeckt

Er ist Cellist und gar kein Pianist. Und doch ist es der Hamburger David Stromberg, der eine faszinierende Erfindung zu neuem Leben erweckt hat: das Doppelklavier, Moór-Klavier oder Duplex-Piano, das der gebürtige Ungar Emanuel Moór um 1920 erfunden hat. In drei Kammerkonzerten in der Elbphilharmonie stellen Stromberg, Florian Uhlig und Kollegen das Instrument in dieser Saison vor. Auf CD kann man es auch bereits hören.

Foto: Raimar von Wienskowski

Herr Stromberg, wie haben Sie das Duplex-Piano entdeckt?

Ich war auf der Suche nach Stücken für zwei Celli und bin auf das Doppelkonzert und weitere Werke von Emanuel Moór gestoßen – dessen Namen ich noch nie gehört hatte. Ich habe mich näher mit ihm beschäftigt und gelesen, dass er auch Erfinder war und dieses Duplex-Piano konstruiert hat. Dann sprach ich mit einem Redakteur vom Deutschlandfunk Kultur über ein CD-Projekt, zeigte ihm ein Foto dieses Flügels – und er sagte sofort: Wir machen die CD, aber mit solch einem Flügel! Also bin ich auf die Suche gegangen. Es gibt ein Instrument im Metropolitan Museum in New York und eines im Musikinstrumentenmuseum in Berlin, aber dort steht man auf dem Standpunkt, ein museales Objekt darf man nicht verändern, also auch nicht sanieren. Ich habe gesucht und gesucht und bin schließlich auf einem Schloss in Schleswig-Holstein fündig geworden. Da stand der Flügel fast wie ein Deko-Objekt. Die Eigentümerin sagte: Ihr könnt ihn sanieren und spielen. Ich habe angefangen, Geldgeber zu suchen, habe den NDR überzeugen können, einen Fernsehbeitrag zu machen, und 2021 haben wir ein erstes Konzert beim Schönberger Musiksommer gegeben. Florian Uhlig hat den Flügel gespielt, er ist Professor in Lübeck, konnte also leicht aufs Schloss fahren und üben. Er hat sich sofort auf das Wagnis eingelassen. Ich hatte mir gedacht: Wenn Bruno Walter sagt, dieser Flügel ist ein unglaubliches Erlebnis, und wenn die Berliner Philharmoniker und die Wiener Philharmoniker ihn genutzt haben, dann muss da was dran sein. Aber ob der Flügel auch heutigen Ansprüchen gerecht wird, ob er die Stimmung hält, ob die Mechanik funktioniert, das wusste ich ja nicht.

Jetzt müssen Sie erklären: Was ist ein Duplex-Piano?

Ein Flügel mit zwei Manualen. Das obere Manual klingt eine Oktave höher, aber nur mit Hilfe der Mechanik, nicht durch einen zweiten Saitensatz. So kann man Sprünge vermeiden. Aber das wichtigste ist: Wenn man ein Pedal tritt, dann erklingt der Ton auf dem unteren Manual zugleich auch eine Oktave höher. Auf dem oberen Manual erklingt er weiterhin allein. Man kann so zum Beispiel die Hauptstimme auf dem unteren Manual verdoppeln und die Nebenstimme auf dem oberen Manual einfach lassen. Das ist ein Effekt, den es auch auf der Orgel gibt. Moór ist mit der Orgel aufgewachsen, sein Vater war Kantor einer Synagoge. Er hat Klavier studiert und wollte Pianist werden. Aber dann hat er sich in den USA in eine sehr reiche Frau verliebt. Und ihr Vermögen hat ihnen erlaubt, zunächst auf einem Landsitz in England und dann acht Jahre lang in Luxushotels in der Schweiz zu wohnen – so wie Udo Lindenberg heute hier in Hamburg im Hotel Atlantic. Moór konnte sich ganz dem Komponieren widmen. Pablo Casals hat ihn als Genie bezeichnet und seine Werke oft gespielt. Aber Moór war Spätromantiker durch und durch, und die Zeiten änderten sich, auch haben ihn einige Schicksalsschläge getroffen. Jedenfalls hat er plötzlich aufgehört zu komponieren und begonnen, verschiedene Instrumente zu entwickeln. Das erste doppelmanualige Klavier hat ihm 1921 Schmidt-Flohr in Bern gebaut. Dann folgte Pleyel in Paris, Steinway hat ein Instrument im Auftrag von Werner von Siemens in Berlin gebaut, Bösendorfer hat zehn Flügel gebaut und Bechstein 19. Insgesamt sind rund 70 Instrumente entstanden. Moór hat Lizenzen an mehrere Firmen vergeben, er dachte, seine Erfindung würde sich sehr schnell durchsetzen und bald würden alle Pianisten nur noch doppelmanualige Flügel spielen. Florian Uhlig hat auch gesagt, als er sich nach einer längeren Probenphase wieder an einen normalen Flügel gesetzt hat: Eigentlich fehlt hier was. Bechstein hat damals große Promotion-Konzerte organisiert, z.B. mit Knappertsbusch und den Hamburger Philharmonikern. Aber auch die New Yorker, die Londoner und die Budapester Philharmoniker, das Concertgebouworkest in Amsterdam und andere große Orchester haben das Duplex-Piano genutzt.

Wer hat den Flügel gespielt?

Moór hatte zwei wichtige Lebenspartnerinnen, zunächst Anita Burke, die reiche Erbin, und dann, nach Anitas Tod, die Pianistin Winifred Christie. Sie war sofort Feuer und Flamme für diesen Flügel. Sie hat die großen Konzerte gespielt mit Beethoven, Tschaikowsky und anderen Werken.

Warum hat sich das Doppelklavier nicht durchgesetzt?

Moór ist 1931 gestorben, er war der Motor des Ganzen. Und er war Jude, das war also keine Erfindung, die die Nazis gefördert hätten. Außerdem ist es ein Instrument der Spätromantik, sein Ziel ist ja, mehr Klang und mehr Klangfarben zu erzeugen. Spätromantische Musik lässt sich wunderbar darauf darstellen, da entwickelt der Flügel seinen Zauber. Aber das entsprach nicht mehr dem Zeitgeist der Neuen Sachlichkeit. Und ein drittes kommt hinzu: Er ist schwer zu spielen. Bei einem normalen Flügel geht die Taste herunter, wenn man ein Gewicht von 50 bis 55 g auflegt. Beim Duplex-Piano sind es 70 g, und wenn man es koppelt, muss man beim Anschlag ein Gewicht von 170 g aufwenden! Das ist nichts für schwache Finger.

Das merkt man dem Spiel von Florian Uhlig nicht an.

Es ist für mich ein Wunder, wie problemlos er darauf spielt. Auf dem Flügel zu donnern, ist leichter, aber man will ja auch zart und transparent spielen, und das ist auf dem Duplex-Flügel wirklich eine Kunst.

Nun machen Sie eine Konzertreihe in der Elbphilharmonie.

Genau. Nach dem ersten Konzert 2021 wurde der Flügel hier in Hamburg in der Instrumentensammlung des Museums für Kunst und Gewerbe ausgestellt. Wir haben dort drei Konzerte gegeben und ein viertes in der Elbphilharmonie, Florian und ich haben eine CD aufgenommen, und nun können wir diese Saison, mit Hilfe des Deutschen Tonkünstler-Verbandes Hamburg und großzügiger Förderer, drei Konzerte in der Elbphilharmonie geben.

Gibt es Stücke, die für das Duplex-Klavier geschrieben wurden?

Einige wenige. Für die Konzerte und die CD haben wir Stücke ausgewählt, die passen, u.a. von Dohnányi, Richard Strauss, Brahms, Messiaen und natürlich von Moór selbst.

Ist der Flügel transportfähig?

Ja, er wird ja immer in die Elbphilharmonie gebracht, und wir haben schon ein Konzert in Erlangen bei Siemens gegeben. Das Duplex bietet eine tolle Geschichte und ist wirklich ein Klangerlebnis. Wir bieten Konzertveranstaltern auch Programme mit dem Duplex an, und ich glaube, da wird sich noch einiges tun

Moór hat auch Streichinstrumente gebaut, und ausgerechnet das Cello fehlt.

Nach dem sind wir noch auf der Suche. Es gibt Geigen und eine Bratsche, die wurden in Mittenwald gebaut und von Bechstein vertrieben. Es gibt ein Foto vom Cello, vielleicht steckt das noch irgendwo. Man könnte es aber auch nachbauen, man weiß genau, wie es konstruiert war.

Sie spielen ja ein modernes Cello, ein Barockcello – und haben sich für ihre Aufnahme der Bach-Solosuiten ein fünfsaitiges Piccolo-Cello bauen lassen. Warum suchen Sie nach immer neuen Klängen?

Mich fasziniert der Ansatz der historischen Aufführungspraxis, Werke aus einer Zeit mit dem Instrumentarium dieser Zeit zu spielen. Was wir mit dem Duplex-Piano machen, ist im Prinzip nichts anderes: Das ist historische Aufführungspraxis der Spätromantik. Ich möchte immer etwas Neues anbieten. Ich beschäftige mich auch mit dem Improvisieren und Komponieren von Kadenzen, das ist ein völlig vernachlässigtes Gebiet, das ich mir erschlossen habe und zu dem ich mittlerweile Kurse gebe. Ich betrete einfach gern Neuland. Und so war es vielleicht kein Zufall, dass die Duplex-Geschichte ausgerechnet auf mich gekommen ist.

Das Gespräch führte Arnt Cobbers.

Erschienen im Klassik-Herbst 2023

Die Emanuel Moór Konzertreihe 2023/24
in der Elbphilharmonie Hamburg

mit Shirley Brill, Anna Kreetta Gribajcevic, Andrej Bielow, Niklas Liepe, Albrecht Menzel, Hartmut Rohde,
David Stromberg und Florian Uhlig

27.9.23, 19.2.24, 27.6.24
www.duplexpiano.de

Sonaten für Violoncello und Duplex-Piano

Werke von Moór, Dohnányi und R. Strauss

David Stromberg, Florian Uhlig

erschienen bei Oehms Classics