Kuss Quartett mit Klussmann

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Die 79. Sommerlichen Musiktage Hitzacker warten auch in diesem Jahr mit spannenden Premieren auf

Das Festival müsse sich immer wieder neu erfinden, ist der Anspruch von Oliver Wille, der seit 2016 als Intendant die Programme verantwortet. Im Hauptberuf ist der gebürtige Berliner Professor für Kammermusik und Vizepräsident an der Musikhochschule Hannover und Geiger im renommierten Kuss Quartett.


Foto: Giorgia Bertazzi

Herr Wille, warum ist das Festival 2024 „Themen.Los“?

Wir haben dieses Motto gewählt, weil es mitunter immer wieder heißt: Baut doch bitte für unsere Konzerte etwas Einmaliges, was Ihr nirgendwo anders spielt – aber es muss in unser Thema passen. Und das ist schwierig. Jedes gute, kreative Ensemble hat Wünsche und Programmideen, die nicht oft gespielt werden können. Deshalb wollte ich Künstlerinnen und Künstler einladen, von denen ich weiß, dass sie tolle Ideen haben – und lasse sie machen. Sie müssen zu ihrem Programm etwas sagen oder schreiben, aber sie sind frei. Beliebig ist das jedoch nicht: Der Untertitel des Festivals lautet „hoch vier“: Wir werden Streichquartette haben, Klavier zu vier Händen mit den Dörken-Schwestern, Alexander Lonquich spielt die letzte Schubert-Sonate und diskutiert in einem Gesprächskonzert die Viersätzigkeit usw. Hinzu kommt eine neue Debütreihe: Sieben Vormittagskonzerte mit jungen Streichquartetten, die alle kurz nach dem Studium sind und zum Teil beeindruckende Karrieren starten. Beispielsweise sind das Leonkoro- und das Barbican-Quartett dabei, aber auch Quartette, die man hier noch gar nicht kennt.

Und das Kuss Quartett spielt Korngold und Klussmann.

Das kam über die Funk Stiftung, die das Festival großzügigerweise seit einigen Jahren unterstützt. Wir kamen im Gespräch über ihre Projekte auf den Hamburger Komponisten Ernst Gernot Klussmann. Die Stiftung suchte noch ein Quartett, das sich für diese Werke einsetzen könnte – und das fanden wir interessant. Das erste Streichquartett ist ein Frühwerk aus den 1920er Jahren, vorwiegend romantisch, aber doch auch in ziemlich wildem Stil, der mir gefällt. Man spürt, dass er die zeitgenössischen Werke von Schönberg und Mahler kannte und sich damit auseinandersetzte. Es gibt keine Aufnahme, wir können das Werk also bislang nur aus der Partitur beurteilen. Und das ist schon spannend. Für Dezember planen wir eine CD-Aufnahme, gemeinsam mit seinem Klavierquintett op.1.

Im Konzert kombinieren Sie Klussmanns Quartett mit dem Klavierquintett von Erich Wolfgang Korngold.

Das ist eine interessante Gegenüberstellung: zwei Komponisten, die Mahler und Brahms verehrt haben. Aber der eine musste nach 1933 emigrieren, der andere ist geblieben.

Klussmann gilt als Mitläufer.

Ja, das ist eine wichtige Frage. Man könnte sich heute nicht um das Werk eines Komponisten kümmern, der aktiver Nazi war. Also was heißt Mitläufer? Ich bin in der DDR aufgewachsen, meine Mutter war Kindergartenleiterin, mein Vater als Grafiker im Fernsehen beschäftigt, unter anderem für das Sandmännchen. Waren sie Mitläufer? Wir hatten oft die Stasi bei uns zuhaus, wir weil wir Westverwandtschaft hatten. Das Angebot der inoffiziellen Mitarbeit stand im Raum. In der Partei waren sie nie. Aber ausreisen, abhauen, das taten sie trotzdem letztlich nicht, die familiären und Freundschafts-Bindungen waren stark, die Liebe zum Beruf auch. Nazideutschland war natürlich etwas anderes als die DDR, aber es gab Parallelen. Dem muss man sich stellen, wenn man einen Komponisten ins Konzertleben zurückholt.

Sie machen auch ein Nachhaltigkeitsprojekt.

Das ist die Installation Imagined Garden nach einer Idee der Sängerin Sarah Maria Sun: eine gemeinsame Kreation der Künstlerin Grace Allen Barkey, die aus Projektion und Skulpturen eine Pflanzenwelt schafft, und Tamara Miller, die Klänge komponiert hat. Dass Pflanzen über Töne, die wir nicht hören, kommunizieren, machen wir hier erlebbar. Es sind Pflanzen, die, wenn man genauer hinschaut, im Sterben begriffen sind. Die Installation findet in einer abgedunkelten Kirche statt und wird jeden Tag auch 20 Minuten live bespielt, zum Anfang von Sarah Maria Sun, dann von den jungen Quartetten, die also aufgefordert sind, sich musikalisch zum Klimawandel zu positionieren.

Das Gespräch führte Arnt Cobbers.

Erschienen im Klassik-Frühling 2024