Orgelgesang mit Farbvielfalt

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Es muss das Herz aller Freunde von Bachs Orgelmusik höherschlagen lassen, dass Masaaki Suzuki mit dem BIS-Aufnahmeteam für die vierte Folge seiner Bach-Einspielung 2022 in die Stiftskirche St. Georg des Klosters Grauhof gegangen ist. Denn die große Orgel, die Christoph Treutmann dort 1737 errichtete, verbindet Weichheit und Schärfe, Farbe und Klangkraft, Basswucht und Kantabilität auf eine Weise, die für Bachs vielfältigen Orgelsatz geradezu ideal ist. Überdies spielt Suzuki hier, neben den Präludien und Fugen a-Moll BWV 543 und c-Moll BWV 549, die ersten 26 Choräle des Orgelbüchleins, das Bach in den letzten Jahren seiner Zeit am Köthener Hof anlegte. Sie umfassen die Kirchenjahreszeiten Advent, Weihnachten, Neujahr, Epiphanias und Passionszeit. Die kurzen Sätze sind kompositorisch individuell durchgeformt und verlangen nach ebenso individueller Klangwahl. Masaaki Suzuki nimmt alle 26 Gelegenheiten wahr, die berückend schönen Farben der Treutmann-Orgel neu zu kombinieren und damit den jeweiligen Choral bis zum expressiven Maximum auszukosten – vom weich singenden Prinzipalklang in „Nun komm, der Heiden Heiland“ BWV 599 und „Jesu, meine Freude“ BWV 610 über Flöten, perlend in „Vom Himmel kam der Engel Schar“ BWV 607, lyrisch in „Gelobet seist du, Jesus Christ“ BWV 604, und Zungensoli in „Der Tag, der ist so freudenreich“ BWV 605 und „Christum wir sollen loben schon“ BWV 611 bis hin zu unterschiedlichen Plena etwa in „Herr Christ, der ein’ge Gottes Sohn“ BWV 601 und „Helft mir Gottes Güte preisen“ BWV 613 – am strahlendsten im Lutherlied „Vom Himmel hoch“ BWV 606, das für Bach offenbar besondere Bedeutung hatte. Gern setzt Suzuki den gelungenen Tremulanten zur Belebung der Melodie ein, sehr eindrücklich etwa in „O Mensch, bewein’ dein’ Sünde groß“ BWV 622, dem längsten und ausdrucksstärksten Choral des Orgelbüchleins, den Suzuki bis ins Detail der Pedalstimme staunenswert durchgestaltet.

Wenn Masaaki Suzuki spielt, ist immer mehr zu erwarten als Orgelvorstellung oder strenges Notentext-Exerzitium. Den Grundanschlag eines stabilen Détaché, des „ordentlichen Fortgehens“, belebt er durch ein atmend-elastisches Spiel, das den Orgelton singen lässt, als sei das das Natürlichste von der Welt. Auch betont tokkatische Passagen wie zu Beginn des a-Moll-Präludiums BWV 543 bekommen eine gleichsam sprechende Anmutung dank einfallsreicher Gliederung und Schwerpunktsetzung. Dazu kommt eine Freude am Klang, die auch das Groteske einschließt, etwa im Geknurre der Zungenstimmen in der Fuge zu BWV 549. Das Album ist ein Vergnügen für Ohr und Kopf vom Anfang bis zum vorläufigen Schluss, und es erzeugt Vorfreude auf die Fortsetzung. Friedrich Sprondel

Bach: Orgelwerke Vol. 4, Orgel-Büchlein (I)

Masaaki Suzuki, Treutmann-Orgel Stiftskirche Grauhof

BIS

BIS-2541 (SACD)