Einst gefeiert, dann vergessen

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Das neuformierte Bawandi Trio spielt Robert Kahn und Vincent d’Indy

Es gibt zahlreiche schöne Stücke für Klarinettentrio, aber wenige feste Ensembles auf der Welt. Eines ist nun frisch hinzugekommen: das Bawandi Trio, bestehend aus Patrick Hollich, stellvertretender Solo-Klarinettist des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg, Alexandre Castro-Balbi, Solo-Cellist der Staatskapelle Weimar, und dem Pianisten Mario Häring. Ihre Debüt-CD ist im März erschienen, im Juni geben sie ihre ersten Konzerte – in Berlin, Hamburg, Freiburg/Breisgau und Baden-Baden.

Foto: Yoel Culiner

Herr Hollich, wie und warum haben Sie als Trio zusammengefunden?
Zur Corona-Zeit hatte ich als Klarinetten-Schüler einen älteren Herrn in Hamburg, der ein absoluter Klarinetten-Nerd ist. Einmal hat er mich zu sich nach Hause eingeladen, und ich durfte in seiner Bibliothek stöbern – solch eine Auswahl an Klarinettenliteratur hatte ich noch nie gesehen. Da habe ich viele Werke entdeckt, die ich überhaupt nicht kannte. Und als es dann wieder möglich war, haben wir uns mit Orchesterkollegen getroffen und Stücke vom Blatt gespielt, und ich bin dann schnell bei den Trios von Robert Kahn und Vincent d’Indy hängengeblieben. Die wollte ich unbedingt nach Corona aufführen und vielleicht sogar auf CD aufnehmen. Von beiden gibt es kaum Aufnahmen. Parallel dazu hab ich per Zufall auf YouTube ein Video von Alex, dem Cellisten, entdeckt. Ich hab mich bei ihm gemeldet, wir sind in Kontakt geblieben, haben am Telefon Pläne entwickelt, und so ist das Projekt allmählich gewachsen. Wir kannten uns vom Festival Westfalen Classics, dessen Leiterin übrigens Nazila Bawandi heißt. (lacht) Sie ist eine Seele von Mensch. Alex hat Mario als Pianisten vorgeschlagen, den er auch von Westfalen Classics kannte. Wir haben uns getroffen und es hat super funktioniert. In der Kammermusik ist das allerwichtigste der menschliche Kontakt, man muss sehr ehrlich miteinander reden können. Also haben wir gesagt: Lasst uns eine CD aufnehmen.

Sie haben vorher keine Konzerte gespielt?
Das war wegen Corona noch nicht möglich. Wir haben die beiden Trios aufgenommen und dann eine Plattenfirma gesucht und gefunden: cpo. Dann hat sich alles noch verzögert, auch unser Konzertdebüt mussten wir nochmal verschieben. Aber nun endlich ist die CD da. Und im Juni werden wir unsere ersten Konzerte geben: im Pianosalon Christophori in Berlin am 7. Juni, am 8. Juni in Hamburg im Tonali-Saal, am 10. Juni in Freiburg im Humboldt-Saal und am 11. Juni in meiner Heimatstadt Baden-Baden im Rathaus.

Warum haben Sie diese beiden Stücke gewählt?
Der Auslöser war das Trio von d’Indy. Diese Mischung aus Poulenc, Wagner, Brahms hat mich total gepackt. Das Stück ist 1887, also vor dem Brahms-Trio entstanden, aber es wirkt fast noch moderner. Es ist traumhaft schön. Und dann war die Frage, was kombiniert man damit? Brahms war natürlich die erste Wahl, aber dann hätten alle gedacht: Die wollen Brahms spielen wie alle und haben als Füllstück noch was Unbekanntes gesucht. Ich wollte, dass d’Indy ein eigenes Gewicht bekommt. Und da war das Kahn-Trio das perfekte Pendant. Robert Kahn war ein Brahmsianer. Er hat eigenständig, aber doch sehr in diesem Gestus komponiert. Das Trio ist ein wunderschönes Stück! Die Kombination ist ein bisschen problematisch. Kahn war Jude, er musste 1938 aus Berlin ins englische Exil fliehen, und d’Indy war ein Antisemit. Das hat mir schon Bauchschmerzen bereitet. Auf der anderen Seite passt es musikalisch so gut. Und wir haben dann entschieden, dass wir es trotzdem machen. Es soll um die Musik gehen. Was sie verbindet ist, dass beide in Vergessenheit geraten sind. Kahn war in Berlin ein großer Name, bevor er ins Exil gehen musste. D’Indy geriet aufgrund seiner kompositorischen Nähe zu Brahms und Wagner in Frankreich in Vergessenheit, und er hat sich später auch zurückgezogen und seinen Stil geändert. Aber das Trio ist noch ein frühes Werk mit viel Tiefe.

Soll das Bawandi Trio ein langfristiges Projekt werden?
Unbedingt. Es macht enormen Spaß, und es gibt viel Repertoire. Komponisten will ich noch nicht nennen, weil wir schon überlegen, was wir als nächstes aufnehmen. cpo ist an einer langfristigen Zusammenarbeit interessiert.

Das Gespräch führte Arnt Cobbers.

Erschienen im Klassik-Sommer 2023

Robert Kahn, Vincent d’Indy:
Trios für Klavier, Klarinette und Cello

Bawandi Trio

cpo
(im März erschienen)